Mit Mut und Herz für Freiheit und Demokratie


Wie in vielen Städten Deutschlands fand am Sonntag auch in Wächtersbach auf dem Marktplatz eine Kundgebung gegen Hass, rechte Hetze und für den Zusammenhalt einer vielfältigen Gesellschaft statt.

„Angesichts der aufgedeckten Deportationsfantasien von führenden Köpfen der rechten Szene und der AfD, die Ende November in Potsdam ausgetauscht worden waren, ist nun offenbar für viele eine Grenze überschritten. Zu offensichtlich sind die Assoziationen mit dem dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte. Demokratie ist nicht unverletzlich, sie muss auch durch gemeinsame Haltung verteidigt werden. Die schweigende Mehrheit ist aufgerufen, „Flagge zu zeigen“. „Demokratie lebt nicht nur von Wahlen, sondern muss ab sofort jeden Tag verteidigt werden: am Arbeitsplatz, in der Schule, im Verein, im täglichen Leben und auch auf öffentlichen Plätzen“, so Bürgermeister Andreas Weiher.

Zur Kundgebung in Wächtersbach hatten daher die evangelische Kirchengemeinde, die katholische Kirche und die Stadt Wächtersbach, gemeinsam mit Unterstützung des Ausländerbeirates Wächtersbach, dem Verein "Hand aufs Herz" und dem Bündnis "Wir sind mehr" zur Kundgebung auf dem Marktplatz, vor Schloss Wächtersbach, eingeladen.

„Ihr seid alle aufgestanden und hergekommen, um hier gemeinsam nicht mehr zu schweigen“, sagte Bürgermeister Andreas Weiher zur Begrüßung vor fast 1.000 Teilnehmern.

Unter den Gästen waren die Bundestagsabgeordnete Bettina Müller, die Landtagsabgeordneten Lisa Gnadl, Christoph Degen und Patrick Appel, Landrat Thorsten Stolz, Stadtverordnetenvorsteher Jan Volkmann, der Magistrat, Ortsvorsteher und Beiratsmitglieder sowie Vertreter aus Verbänden, Kirchen und Vereinen.

Pfarrerin Beate Rilke erläuterte, wie wichtig es sei, sich für die Rechte aller Menschen einzusetzen. Der Respekt der Menschen untereinander liegt ihr sehr am Herzen. Insbesondere der Menschen, die sich beruflich oder ehrenamtlich für das Wohl aller einsetzen, wie z.B. Polizei, Feuerwehr, DRK, verschiedene Hilfs- und Pflegedienste oder auch der Politiker.

Die Pfarrerin mahnte: „Glaubt ihr - wir kommen davon, wenn die Rechten erst einmal die Macht übernommen haben?“

Bürgermeister Andreas Weiher betonte: „Demokratie ist kein Lieferservice! Sie lebt von Beteiligung und überlebt nur, wenn wir gemeinsam wehrhaft sind.“ Er zeigte sich besorgt angesichts der jüngsten Geschehnisse in Deutschland. Die Formel für rechte Propaganda ist laut Weiher noch immer die gleiche und deckungsgleich mit der früheren NSDAP: Man nehme eine Krise, egal wer oder was sie verursacht hat. Man suche einen Sündenbock und betreibe Propaganda. „Außen blau und innen braun“, zeigen sich für Weiher die Feinde der heutigen Demokratie. In Deutschland gehe es ohne Migration nicht, das sei früher bei den „Gastarbeitern“ so gewesen, und es habe sich bis heute nicht geändert.

Landrat Thorsten Stolz zeigte sich erfreut, dass sich trotz des Regenwetters eine so hohe Teilnehmerzahl auch in Wächtersbach eingefunden hat. Er betonte deutlich, dass Demokratie keine „Schönwetterveranstaltung“ sei und dankte den Teilnehmern, die damit ein klares Zeichen gegen blau-braunes Gedankengut setzen. „Das Privileg von Freiheit und Wohlstand wollen wir uns von den Feinden unserer Verfassung nicht nehmen lassen“, so Landrat Thorsten Stolz.

Der Vorsitzende des Wächtersbacher Ausländerbeirates, Cengiz Degirmenci, versicherte, dass er sich mit all seinen Möglichkeiten für die Demokratie einsetzen werde.

Die SPD-Bundestagsabgeordnete korrigierte die Selbstdarstellung der AfD: „Sie sei die Partei der kleinen Leute“. Gerade für die kleinen Einkommen wolle diese doch die sozialen Leistungen abbauen! Auch die SPD-Landtagsabgeordnete Lisa Gnadl berichtet schockiert, wie das rechtsextreme Gedankengut bereits in der Mitte der Gesellschaft angekommen sei und untermauerte deutlich: „Nie wieder ist jetzt!“

CDU-Landtagsabgeordneter Patrick Appel appellierte: „Hass und Hetze sind keine Meinung – sondern Gift für die Gesellschaft.“

Der Wächtersbacher Stadtverordnetenvorsteher sprach sich für eine „wehrhafte Demokratie“ aus, die gegen antidemokratische Kräfte vorgehe.

Zu Wort meldeten sich außerdem Alex Schopbach, Vorsitzender des Vereins „Hand aufs Herz“ aus Gelnhausen, die stellvertretende Vereinsvorsitzende Juli Hott, Norbert Döppenschmitt für die Sozialverbände VdK und AWO sowie Andreas Kaufmann als stellvertretender Vorsitzender des Hessischen Jugendrings.

Sie alle verfolgen das gleiche Ziel: „Rechts vertrete nicht die schweigende Mehrheit – Wir sind mehr!“

Julia und Deff Balin hatten die Veranstaltung musikalisch begleitet. Im Anschluss an die Kundgebung spielte der Posaunenchor unter Leitung von Christoph Schilling die National- und Europahymne.

Wächtersbach setzte ein klares Zeichen für Demokratie und Menschlichkeit!

Die Rede von Pfarrerin Beate Rilke im Wortlaut:

Ich bin dankbar, dass wir so viele gewesen sind. Zusammen!

Weil manche gefragt haben - hier meine Worte heute:

"Wir stehen am Mahnmal der Opfer des 2. Weltkrieges.

Hier stehen wir heute bewusst! Wenn wir hier am Volkstrauertag stehen, sind wir weit weniger Menschen, die sich an die Schrecken des Krieges erinnern.

Glaubt ihr denn, es geht euch nichts an?

Glaubt ihr wirklich, es geht der AfD und den anderen Rechtsextremen nur um die Geflüchteten? Glaubt ihr wirklich, ihr kommt davon, wenn sie erst unsere Demokratie und unsere Freiheit kaputt gemacht haben?

Heute, an einem Sonntag im Februar 2024 frage ich euch: hat nicht die Herrschaft der Nazis auch in eurer Familie mindestens eine Spur hinterlassen? Wer kann sagen, dass seine Familie – und damit auch wir alle, die das Glück der späten Geburt hatten – ohne Schaden blieb?

Der vermisste Onkel – irgendwo gefallen in Russland.

Wie viele Tränen wurden um ihn geweint?

Der traumatisierte Opa, der aus dem Schützengraben kam, und euch nicht in den Arm nehmen konnte.

Kinder muss man schreien lassen – das stärkt die Lunge!

Die Oma, die nichts wegwerfen konnte, weil sie wusste, was Hunger ist, die euch gezwungen hat, den Teller leer zu essen.

Der lieblose Vater - … und da bin ich noch nicht mal bei den Familien angekommen, deren Verwandte in den Konzentrationslagern umkamen!

Alleine deshalb ist es unsere Pflicht „Nie wieder!“ nicht nur zu sagen, sondern auch zu meinen.

Wenn wir das Feld den Nazis und den Extremisten überlassen, dann sage ich euch:

die Geschichte hat uns gelehrt: wir sind alle dran!

Vielleicht geht es gerade um Geflüchtete, und dann geht es um „den Ausländer“ – und wenn er noch so sehr mit einer Deutschen verheiratet ist – um den Schwachen, den Kranken, die Lesben und die Schwulen – um die Frauen!

Es geht um uns alle, wenn wir heute hier für unsere Freiheit einstehen!

Dürfen Sie das als Pfarrerin, demonstrieren?

Diese Frage wurde mir in den letzten Wochen bzw. Jahren immer mal wieder gestellt.  Ich muss!

Darf ein Kirchenvorstand eine Kundgebung anmelden und sich gegen den Rechtsruck positionieren? Wir müssen!

Wir müssen für die Rechte aller Menschen eintreten.

Denn wenn ich die Bibel ernst nehme, dann kann ich nicht anders, als in jedem Menschen ein Kind Gottes zu sehen.

Einen Menschen, den Gott geschaffen und ihm so Würde gegeben hat. Und diese Würde ist unantastbar!

Als Christinnen und Christen – sind wir auch Humanisten und stehen gegen jede Form von Rassismus, Antisemitismus, Islamophobie, gegen Ziganismus, Homophobie, gegen jede Art von Diskriminierung, die Menschen aufgrund ihres Geschlechtes, ihrer Hautfarbe oder ihrer Herkunft erfahren!

Dürfen Sie das als Pfarrerin, demonstrieren? Ich muss!

Denn: es begann nicht mit den Lagern und den Verschleppungen.

Es begann in der Nachbarschaft.

Auch genau hier, in diesen Gassen hat es angefangen.

So, wie es heute bei Facebook beginnt.

Plötzlich trauen sie sich was. Es beginnt mit getipptem Hass und endet nicht mit eingeworfenen Fensterscheiben.

Wir müssen heute und morgen und immer wieder deutlich machen: Bei Hitlers brennt noch Licht!

Und wisst ihr: es beginnt auch da, wo wir den Respekt verlieren: den Respekt den Menschen gegenüber, den Sanitäterinnen und Sanitätern, den Feuerwehrleuten, den Polizistinnen und Polizisten und auch den Politikerinnen und Politikern gegenüber.

Wo wir die verächtlich machen, die sich – im besten Wissen und Gewissen -  mit ihrer Kraft einsetzen für uns und unsere Gesellschaft.

Das heißt nicht: nehmt alles hin.

Das heißt: habt eine Meinung. Aber: Hass ist eben keine Meinung!

Ich bitte euch: bleibt offen!

Versucht, einander zuzuhören.

Versucht, miteinander zu sprechen.

Lasst uns über Werte diskutieren und auch streiten! Überlassen wir das nicht den Populisten.

Und ich bitte euch: Hasst nicht! Niemanden.

Das Gegenteil von Hass ist Respekt.

Und mit Respekt machen wir deutlich: Wir sind mehr!